Die moderne Medizin ermöglicht sehr oft auch bei tief sitzendem Rektumkarzinom (Enddarmkrebs) die Anusrückverlegung, so dass der Stuhl erst mal wieder seinen normalen Ausgang hat. Neben der Tumorfreiheit nach aller Prozedur ist dies für den Patienten sehr entscheidend. Es ist wichtig für seine Lebensqualität, für unsere Würde.
Trotz immer geeigneterer OP-Techniken, welche bei angestrebter Radikalität immer besser die zuführenden Nerven schützen, beginnt nicht selten nach Anusrückverlegung ein neues Drama. Viele dünne Stuhlgänge, 15x täglich ist keine Seltenheit, unkontrollierte Abgänge, kein Haltevermögen, eine nahezu verätze Gesäßhaut. Das erfordert Vorlagen, Windeln, Säuberungsaktionen; Planung und Mut, wenn man das Haus verlässt.
Aber es war doch alles anders gewollt! Warum diese Stuhlinkontinenz?
Nun unsere Kontinenz, dass heißt, dass wir unsere Ausscheidungen kontrollieren können, ist ein sehr komplexes Geschehen. Dafür sind intakte Kontinenzfaktoren notwendig. Gehen wir die wichtigsten mal durch.
Natürlich sind die bekanntesten die beiden Afterschließmuskeln, die Analsphinkter. So kann die zugehörige Nervenversorgung beeinträchtigt sein oder/und die Bestrahlung kann auch hier Veränderungen bewirkt haben. Vorschäden durch Operationen oder gerade bei den Frauen durch Schwangerschaften und Geburten verschlimmern das Ganze. Die Erfahrung zeigt aber, dass es viele Patienten gibt, bei welchen die Sphinkter doch ganz intakt erscheinen. Und trotzdem geht alles in die Hose.
Das hat viel mit der sogenannten Rektumcompliance zu tun. Unsere Entleerung (Defäkation) ist ein reflexgesteuerter, geordneter Vorgang, welcher auch eine gewisse Zeit erfordert. Wir brauchen einen geeigneten Druckaufbau bei einem für uns erforderlichen Stuhlvolumen (Rektumcompliance), damit alles gut funktioniert. Genau diese Voraussetzung ist aber bei vielen, meist dünnen Stühlen, nicht erfüllt. Durch die Operation wurde der Enddarm, die Auffangstation des Stuhls, entfernt. Die neue Darmverbindung kann sich anpassen, macht es aber nicht immer. Sehr entscheidend ist, dass wir mit festen Stuhlgängen immer eine bessere Kontinenz haben als mit dünnen, auch wenn ggf. damit wieder andere Probleme auftreten können. Aber hierin liegt der Schlüssel der Therapie! Wir müssen die Ursache der dünnen Stühle verstehen und suchen. Hierzu habe ich einen speziellen Text (-> Chronischer Durchfall) verfasst. Nach Bestrahlungen liegt immer ein gewisser Strahlenschaden im Darm (radiogene Kolitis) vor. Auch andere Bauchorgane können betroffen sein. Die Sphinkter habe ich schon genannt. Selten beachtet wird, dass auch eine sogenannte chologene Diarrhoe (Durchfall durch übergetretene Gallensäuren in den Dickdarm) sich entwickeln kann. Es können, wie bei anderen Durchfallerkrankungen auch, Nahrungsunverträglichkeiten, chronische Keimbesiedlung des Darmes und Medikamente (insbes. Metformin!) zusätzliche Auslöser sein.
All diese genannten Faktoren verursachen das Chaos, die Stuhlinkontinenz gepaart mit einem oft ausgeprägten Analekzem. Im Verständnis dieser Komplexität liegt aber der Weg. Aus Erfahrung heraus kann ich sagen, dass man viel erreichen kann. Es braucht Zeit, die Ursachen abzuklären, ein geeignetes, individuelles Therapieschema zu finden. Der Darm selbst muss erst mal die Möglichkeit bekommen, wieder eine normale Darmflora aufzubauen. Auch wenn es geschafft ist, bleibt das ganze System anfällig.
Voraussetzung für alles ist, dass der Patient diesen Weg versteht, auch ihn mitgehen kann. Fast immer sind viele Arztkontakte notwendig.
An dieser Stelle möchte ich noch Hinweise zum meist erheblichen Analekzem (Wundsein) geben. Das Ekzem ist wesentlich von der Stuhlbeschaffenheit und der Stuhlfrequenz abhängig! Das viele verständliche Waschen, Putzen und die Restbenetzung der Haut verhindern die Normalisierung. Ich habe gute Erfahrung mit der folgenden Empfehlung gemacht: Duschen Sie sich nur 2x täglich die Genitalregion ab, dann trocken föhnen. Zur Reinigung zwischendurch geht gut weiches Toilettenpapier mit wenig aufgetragener Vaseline. Hinsichtlich der Reinigung mit Vaseline gibt es auch gegenteilige Meinungen, welche ich aber nicht bestätigen kann. Als Hautschutz kann ggf. Zinkpaste dünn angewandt werden.
Mit einem engen Arzt-Patientenkontakt kann man fast immer die oben genannte Problematik bessern und ausreichende Akzeptanz erreichen.
Nur im Einzelfall ist ein erneuter Anus praeter, auch Stoma oder künstlicher Darmausgang genannt, die Alternative.
Bei Wunsch können Sie sich gern bei mir beraten lassen. Bitte bringen Sie vorhandene Unterlagen, insbes. über die Therapie des Rektumkarzinoms, mit. Auch die Befunde der letzten Tumornachsorge wären wichtig.